Richard H. Thaler erhält für seine Forschung rund um „nudging“ den Wirtschaftsnobelpreis 2017
Am 9. Oktober 2017 wurde der heurige „Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften“ an den US-Amerikaner Richard H. Thaler verliehen. Der Wirtschaftsprofessor der Universität Chicago beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Einfluss der Psychologie auf unsere wirtschaftlichen Entscheidungen. Ein Thema, mit dem sich unter anderem auch sein österreichischer Kollege Ernst Fehr befasst. Die Forschungsarbeiten von Richard H. Thaler haben die Verhaltensökonomie sowohl in der Wirtschaftsforschung als auch in der Politik etabliert. Thaler selbst war unter anderem auch einer der Wirtschaftsberater von US-Expräsident Barack Obama.
Psychologie und Wirtschaft
„Richard Thalers wissenschaftliche Arbeit integriert psychologische und wirtschaftliche Erkenntnisse bei der Erforschung individueller Entscheidungen. Die Ergebnisse seiner empirischen Erkenntnisse und theoretischen Einblicke haben in großem Maß zur Etablierung des rasch wachsenden Forschungsfeldes der Verhaltensökonomie beigetragen. Aus der Erforschung der Konsequenzen beschränkter Rationalität, sozialer Präferenzen und Mangel an Selbstkontrolle hat er gezeigt, wie diese menschlichen Merkmale systematisch individuelle Entscheidungen wie auch Marktergebnisse beeinflussen“, begründet das Nobelpreiskomitee seine Entscheidung.
Unternehmen handeln den Konsumenten gegenüber fair
Dass Menschen in finanziellen Belangen nur eingeschränkt rational handeln, weist Richard H. Thaler anhand der von ihm entwickelten Theorie der mentalen Buchführung (engl. „mental accounting“) nach. Demnach vereinfachen die Menschen unbewusst durch die Anlage fiktiver mentaler Konten komplexere finanzielle Sachverhalte, und treffen dann auf Grundlage der Einzelkonten falsche Entscheidungen, weil sie auf das individuelle Konto statt auf das Ganze fokussieren.
Richard H. Thaler hat sich in seiner Forschung auch intensiv mit Fragen der Fairness befasst und dabei viele neue Erkenntnisse entwickelt. Etwa hat er nachgewiesen, dass Unternehmen aus Fairness dem Konsumenten gegenüber nicht bei hoher Nachfrage, sondern bei steigenden Produktionskosten die Preise erhöhen.
Es mangelt an Selbstkontrolle
Ein zentrales Forschungsgebiet von Richard H. Thaler ist das Spannungsfeld zwischen Langzeitplanung und Kurzzeitaktion, für das er ein Modell entwickelt hat. Die rationale Langzeitplanung, etwa in Form von wiederkehrenden Neujahrsvorsätzen unterliegt oft der Kurzzeitaktion, weil es an Selbstkontrolle mangelt. Deshalb wird zu wenig fürs Alter zur Seite gelegt oder wider besseres Wissen die Gesundheit aufs Spiel gesetzt. Als Mittel zur Entfaltung von mehr Selbstkontrolle entwickelt Thaler das Instrument des „nudging“.
„nudges“ – mit kleinen „Anstupsern“ zum großen Ziel
Der breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden ist Richard Thaler 2008, als er mit Cass Sunstein, Rechtswissenschaftler an der Harvard Law School, das Buch „Nudge. Improving Decisions About Health, Wealth, and Happiness“ geschrieben und diesen Begriff geprägt hat. Die Technik des „nudging“ (engl. für anstupsen), des kleinen Schubs, der Menschen dazu bringen soll, sich rational zu verhalten, wird heute vielerorts als Alternative zu Ge- und Verboten oder ökonomischen Anreizen eingesetzt. Ethisch ist nach Richard Thaler der Einsatz von „nudges“ dann, wenn sie transparent und nicht irreführend sind, dem Allgemeinwohl förderlich sind und man sich ohne großen Aufwand dagegen entscheiden kann.
„nudges“ als politisches Instrument
Bekanntestes Beispiel für ein „nudge“ ist wohl die berühmte Fliege im Pissoir. „Nudges“ werden heute bereits in nahezu allen Lebenslagen eingesetzt. Das reicht von voreingestellten Standards („Defaults“) bei Computern und Onlinekäufen – die dann vom User oder Käufer meist beibehalten werden – über die Produktkennzeichnung bei Lebensmitteln bis hin zu „großen Projekten“ wie etwa der Einführung des ELSA-Systems im österreichischen Gesundheitswesen, wo primär jede/r dabei ist, der sich nicht aktiv abmeldet. Der Einsatz von Nudging im öffentlichen Bereich, z.B. zur Steuerung gewünschter (sozialer) Verhaltensweisen, hat noch großes Potential. Europaweit führend ist dabei Großbritannien. Im „Behavioral Insights Team“, einer ausgegliederten Regierungsabteilung, beschäftigen sich mehr als hundert Mitarbeiter mit der praktischen Anwendung verhaltensökonomischer Erkenntnisse.
Richard H. Thaler, geb. 12.09.1945 in East Orange, NJ. September, 1974 bis 1978 Assistenzprofessor der University of Rochester, 1978 -1995, seit 1986 Professor an der Cornell University, 1994-95 Gastprofessur am Massachusetts Institute of Technolog (MIT), seit 1995 Professur an der University of Chicago. Präsident der American Economic Association; 2005 Paul A. Samuelson Award, 2014 Weltwirtschaftlicher Preis, 2017 Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften