9. April 2020

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# Sonstiges

In der (inneren) Ruhe liegt die Kraft

„Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.“ – ein Satz, den Blaise Pascal, ein französischer Mathematiker, Physiker, katholischer Philosoph und Literat im 17. Jahrhundert niederschrieb, ist aktueller denn je.  In der jetzigen Situation mit COVID-19 und der daraus entstandenen Notwendigkeit in den eigenen vier Wänden die Tage zu verbringen, kommt einem dieser Satz gespenstisch gegenwärtig relevant vor. Doch warum rührt das ganze Unglück des Menschen nun darin, dass sie nicht ruhig im Zimmer zu verbleiben vermögen? Und wenn es denn so wäre, warum sind momentan denn nicht alle Menschen glücklich, wo doch jeder sich nur zu Hause im Zimmer aufhält? Der Satz ist auf den ersten Blick sehr einleuchtend, was er aber genau aussagt, ist in der heutigen Zeit mindestens ebenso schwierig zu verstehen, wie Pascals mathematische Erkenntnisse von damals. Eine Annäherung:

Mit Unglück meinte er wohl eigentlich Unruhe

Unglück, wie Pascal es in diesem Satz versteht, ist nicht im Sinne eines Unfalls zu verstehen, sondern wohl viel eher mit (innerer) Unruhe. Durch das beschränkte Leben auf die eigenen vier Wände, kann diese Unruhe nun in Zeiten von COVID-19 besonders leicht entstehen. Unruhe beschreibt in unserer Deutung Pascals „Unglück“ also die Situation, dass man sich als Mensch schwertut, unbeschäftigt mit sich selbst in einem Zimmer sein zu müssen. Viele Menschen müssen das gerade in der jetzigen Situation. Aber müssen sie das wirklich?

Nein, müssen sie nicht, vielleicht können sie es gar nicht mehr.

Heute heißt es im Gegensatz zum 17. Jahrhundert, in dem Pascal lebte, nicht, dass man in seinem Raum „mit sich“ sein müsse. Heute kann man trefflich in einem Raum sein, ohne je mit sich sein zu müssen – Homeoffice, Kinder, Handy, Fernseher, Bluetooth-Kopfhörer, PlayStation und vielem mehr sei „Dank“. Es stellt sich sogar eher die Frage, ob man heute in der Zeit der Digitalisierung und der Beschleunigung überhaupt noch mit sich sein kann, selbst wenn man es wollte, wenn es denn schon im 17. Jahrhundert so schwer zu sein schien. Unabhängig davon: Ist es überhaupt wirklich hilfreich nicht mit sich selbst sein zu müssen?

Die Unruhe ist weggeschoben, aber ruhiger wird man deswegen trotzdem nicht

In einem Raum zu sein und sich dabei zu beschäftigen, kann auf jeden Fall Vorteile bringen. Man schafft die unmittelbare Unruhe aus dem Weg, allerdings wird man dadurch langfristig nicht unbedingt ruhiger. Kaum beendet man eine Tätigkeit, kommt die Unruhe zurück, man sucht sich wieder etwas Neues und so geht es weiter, immer wieder und wieder. Aber ist die Unruhe wirklich schlecht?

Die gute und schlechte Unruhe

Laut Pascal gibt es zwei unterschiedliche Unruhen, die „schöpferische Unruhe“ und die „nervlich belastete Unruhe“. In der schöpferischen Unruhe hat man den Drang etwas voranzutreiben, möchte unbedingt weiterkommen, mit dem was man tut, sie spornt einen an, kann einen in einen Flow versetzen, sie gilt als positive Unruhe. Dann gibt es aber auch die nervlich belastete Unruhe, jene Unruhe, die einen hemmt, zu Lustlosigkeit führt und auch Depressionen hervorrufen kann. Von letzterer Unruhe haben wir alle zu Recht Angst, aber wie kann man ihr begegnen?

Beschäftigung kann gut sein, gelegentlich mit sich selbst zu sein, könnte aber besser sein

Wenn der Mensch etwas tut, was er gerne tut, also durch schöpferische Unruhe ausgelöst, dann kann sich innere Ruhe einstellen. Wenn er nichts von dem tut, was er gerne tut, dann kann jedoch eine negative innere Unruhe entstehen, die auch nicht leicht wegzubekommen ist. Die Arbeit von zu Hause, Haushaltstätigkeiten oder gewünschte oder unerwünschte Ablenkungen, wie die oben genannten, können ihren Zweck erfüllen und Unruhe wegschieben. Wirkliche (echte), innere Harmonie, eine Art höhere Form der inneren Ruhe, die Pascal zu Folge durch „mit sich sein“ entstehen kann, ist durch diese Tätigkeiten aber wohl nicht erreichbar. Für wirkliche, innere Ruhe müsste man sich auf sich einlassen können. Man müsste mit sich und der Welt Frieden schließen. Man müsste einfach „sein“ ohne aktiv etwas zu tun. Man müsste sich wieder selbst spüren und sich auch spüren wollen. Mönche haben spezielle Rituale oder meditieren, um sich selbst näher zu kommen, sich zu spüren. Bei jedem Menschen kann das allerdings auch etwas anderes sein. Es gibt kein Rezept dafür, wie man der inneren Ruhe näherkommt, sich bewusst Zeit für sich zu nehmen, ohne etwas zu tun, kann einem aber sicherlich dabei helfen. Achtsamkeit ist dabei das Wort der Stunde. Die Chance, die die jetzige Zeit uns allen bietet, sollte man nützen. Und am Ende der COVID-19-Krise sind wir dann vielleicht auch alle wieder in der Lage, ruhig in einem Zimmer zu bleiben und damit die Unruhe oder das Unglück besser überkommen zu können als es davor der Fall war.

 

Quellen:

https://www.gutzitiert.de/biografie_blaise_pascal-bio1059.html

https://www.gutzitiert.de/zitat_autor_blaise_pascal_thema_unglueck_zitat_2908.html

 

Buchtipp:

Die Kunst sich selbst auszuhalten. Ein Weg zur inneren Freiheit.

Michael Bordt SJ

 

Fotocredit: Rafael Wagner

(sjs)