Das Zentrum für Angewandte Spieleforschung der Donau-Universität Krems befasst sich seit 2006 mit der Mechanik und der Wirkung von Spielen – analog wie digital. Besondere Berücksichtigung finden dabei die Anwendungsbereiche Medien- und Game Design sowie Bildung und Erziehung.
Wir haben Natalie Denk, die selbst am Zentrum studiert hat und dort heute als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig ist, zum Interview getroffen.
Julius Raab Stiftung: In eurer wissenschaftlichen Arbeit steht unter anderem die Anwendung von Forschungsergebnissen rund um das Thema Spiel im Zentrum. Wie sieht dies konkret in eurer Praxis aus?
Natalie Denk: In unseren Forschungsprojekten ist oft die Frage zentral, wie Spiele bzw. ein spielerischer Zugang bestimmte Themen greifbarer machen können. Essentiell ist hierbei ein iterativer Ansatz, wo wir eng mit der jeweiligen Zielgruppe arbeiten, wie zum Beispiel im Projekt Mobility 360° – Citizens of the Future. Im Projekt entwickelten und erprobten wir ein Workshopkonzept zur modernen Mobilitätserziehung. Dabei schlüpfen Kinder und Jugendliche – von der Volksschule bis hin zur Oberstufe – in die Rolle von MobilitätsexpertInnen. Sie erforschen Verkehrstechnologien, setzen sich mit ‚Mobilität hier und anderswo‘ sowie ‚aktiver Mobilität‘ auseinander und werfen einen Blick in die Mobilität der Zukunft. Letztendlich entwickeln sie ihre eigenen Mobilitätsvisionen als ‚Citizens of the Future‘.“
Julius Raab Stiftung: Welche Rolle hat Spielen in diesem Projekt?
Natalie Denk: „Natürlich eine zentrale Rolle! Wir haben ein Kartenspiel entwickelt, in dem SchülerInnen ab 10 Jahren in die Rolle von StadtplanerInnen schlüpfen. Dabei werden sie mit unterschiedlichen Herausforderungen, sogenannten Mobility Challenges, konfrontiert. Haben die SchülerInnen Smartphone oder Computer zur Hand, können zu den Challenges auch noch 360° Fotos angesehen werden, um sich noch besser in die Ausgangslage des Spiels zu versetzen. Um die Challenges zu lösen, suchen die Spielenden anschließend nach geeigneten Aktionen und setzen diese um. Doch neben der Verbesserung des allgemeinen Wohls der Stadt, gilt es auch die Interessen der eigenen Lobby durchzusetzen, denn am Ende gewinnt der- bzw. diejenige, dessen/deren Lobby bei den umgesetzten Aktionen am stärksten vertreten ist. Um das Spiel zu meistern, gilt es sich mit unterschiedlichen Technologien, Maßnahmen und Aspekten rund um Mobilität auseinanderzusetzen. Das Spiel bietet jedoch auch jede Menge Raum für Kreativität und Diskussion mit den MitspielerInnen. Dieses und ein weiteres Kartenspiel für VolksschülerInnen stehen auf der Projektwebseite als OER Ressource zur Verfügung – zum selbst Ausdrucken und Ausschneiden.“
Julius Raab Stiftung: Wie entwickelt ihr so ein Projekt und findet heraus welche Mechanik und welches Medium dafür passend ist?
Natalie Denk: Am Anfang steht das Schreiben eines Förderantrags J. Die finanziellen Ressourcen bilden natürlich einen zentralen Rahmen, der auch ausschlaggebend dafür ist, welche Medien wir für die Umsetzung andenken können. Im Fall von Mobility 360° haben wir uns für einen Mix aus analogen und digitalen Komponenten entschieden. Die Entwicklung von rein digitalen Games ist oft einfach noch zu teuer. Aber zurück zum Anfang: Der erste Schritt besteht darin zu definieren, wer was wem wie vermitteln will und welche Spielerfahrung wir ermöglichen wollen. Sobald diese Eckpunkte stehen, überlegen wir welche Spielmechanik sich am besten dafür eignet. Auf Basis dieser Inputs erstellen wir dann einen einfachen Prototypen, meist aus Papier. Den testen wir im Zentrum ausgiebig selbst durch. Dabei sehen wir, ob sich das Spiel auch in der Praxis so anfühlt, wie wir uns das in der Theorie gedacht haben. Im nächsten Schritt integrieren wir dann zum Thema passende ExpertInnen und Stakeholder. Im Fall von Mobility 360° waren dies unsere ProjektpartnerInnen vom Kuratorium für Verkehrssicherheit (KFV) und der Offenen Technologie Labore (Otelo eGen), mit denen wir das Spiel erneut getestet und weiterentwickelt haben. Damit ist aber noch nicht genug ausprobiert: am wesentlichsten ist das Feedback der eigentlichen Zielgruppe, hier konkret die beteiligten SchülerInnen. Dieses fließt natürlich auch in das Design eines Spiels mit ein.
Julius Raab Stiftung: Was war euer größtes Learning bei diesem Praxistest mit den SchülerInnen?
Natalie Denk: Unsere Testversion war für die jüngsten SchülerInnen unserer Partnerschule etwas zu komplex, das haben wir im Pilot-Workshop rasch bemerkt. Wir haben dann einfach einige Regeln spontan weggelassen und ein relativ freies Spiel zugelassen. Dies hat unsere SpielerInnen dann sehr dazu motiviert, sich selbst aktiv in das Spiel einzubringen. Besonders schön zu beobachten war, dass diejenigen, denen es dann doch zu offen war, einfach selbst zusätzliche Spielregeln erfunden haben. Letztendlich sind zwei Regelsets in der Spielanleitung zu finden und wir planen auch noch weitere Variationen. Man sollte jedoch in jedem Fall zum Spielen mindestens eine Unterrichtsstunde einplanen.
Julius Raab Stiftung: Unterrichtsstunde ist ein gutes Stichwort. Wir von der Julius Raab Stiftung sind auch sehr vom Potenzial von Game-Based Learning überzeugt. Was braucht es aus deiner Sicht um diese Potenzial Klassenzimmer zu bringen am dringendsten?
Natalie Denk: Game-Based Learning muss Teil der PädagogInnenausbildung werden. Und zwar in zweifacher Hinsicht: einerseits hilft es diese Methoden und ihre Vorzüge zu verstehen, wenn man sie selbst als Lernende erlebt und andererseits braucht es auch Fachwissen und Kompetenzen dazu. Das gilt auch für die Weiterbildung von LehrerInnen.
Julius Raab Stiftung: Welche Hilfestellungen bietet ihr PädagogInnen in Sachen Game-Based Learning am Zentrum für Angewandte Spieleforschung?
Natalie Denk: Game-Based Learning ist ein zentrales Thema in unseren Universitätslehrgängen – insbesondere bei „MedienSpielPädagogik“ und „Handlungsorientierte Medienpädagogik“. Darüber hinaus haben wir in einem unserer Forschungsprojekte die TOOLKIT Plattform entwickelt. Auf der Plattform können Lehrpersonen ihre Ideen für Game-Based Learning Projekte eintragen und teilen. Zudem kann mit einer Spielanalyse das didaktische Potenzial von Spielen ergründet werden. Damit wollen wir anderen LehrerInnen ersparen, das Rad immer wieder neu zu erfinden und auch zeigen, was mit (digitalen) Spielen alles im Unterricht möglich ist.