Ob Smartphone, Apps oder Internet – gängige neue Technologien erleichtern unser Leben. Doch was viele nicht sehen: technologische Innovationen bringen auch große Herausforderungen mit sich. Wir sind blind für soziale, politische und gesellschaftliche Risiken, die aus der Entwicklung von Technologien resultieren können. Denn wo die Gesellschaft noch vor einigen Jahrzehnten ausreichend Zeit hatte, sich technologischen Neuerungen anzupassen, werden die Abstände zwischen diesen Neuerungen immer kürzer. Wir unterschätzen die Intensität und Schnelligkeit der Veränderungen, schreiten mit wachsender Naivität ins neue technologische Zeitalter voran und drohen, die Kontrolle über den Fortschritt zu verlieren. Das sagt Benedikt Herles, Wirtschaftswissenschafter, Venture Capital Investor und Autor des Buches „Zukunftsblind. Wie wir die Kontrolle über den Fortschritt verlieren.“
Die Macht der Technologie
Künstliche Intelligenz kann jeden Tag mehr als der Mensch, der sie ermöglicht hat. Blockchains stellen technische Infrastrukturen bereit, in der ausschließlich Algorithmen für Recht und Ordnung sorgen. Kontrolle durch Menschen hat hier längst keinen Platz mehr. Was passiert, wenn diese technische Infrastruktur auf andere Bereiche des Lebens wie Unternehmen oder sogar den Staat übergreift, ist schier unvorstellbar. Die Konsequenzen einer institutionslosen Verwaltung unseres Lebens wären nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesellschaftlich und politisch von gravierender Tragweite.
Der designte Mensch
Besondere Brisanz erfährt das Thema Digitalisierung Benedikt Herles zufolge im Bereich der Bio-Technologie. Eingriffe in die menschliche DNA – und damit eine komplette Neuordnung der Biologie – sind schon heute vor allem in China gelebte (Forschungs-) Realität. Mit Crispr/Cas9 existiert eine Art Gen-Schere, die die menschliche DNA zu einer Art Legokasten macht. Biologen können damit bestimmte Teile der DNA beispielsweise verändern oder auch komplett ausschalten. Die Gratwanderung zwischen medizinisch wünschenswerten und ethisch fragwürdigen Ergebnissen ist schmal.
Wenige werden gewinnen, die meisten werden verlieren
Die Globalisierung hat in den vergangenen Jahrzehnten viel Wohlstand geschaffen. Verloren hat dabei die Mittelschicht der alten Industrienationen. Diese Tendenz wird sich durch ungezügelte Innovation weiter verstärken. Und ist die Mittelschicht in Gefahr, ist auch die Demokratie in Gefahr. Eine tiefgehende Volksdepression aufgrund von Enthumanisierung bzw. weitgehender Automatisierung wäre die prekäre Folge.
Politisches Innovator’s Dilemma: Warum wir der Zukunft hinterherhinken
Wir wollen vor allem eines: schnelle, kurzfristige Ergebnisse. Nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Politik. Komplexe Innovationen, die viel Zeit von der Thematisierung bis zur Realisierung in Anspruch nehmen, haben daher auch in der politischen Debatte keinen Platz. Demographie und Wohlstand tragen ihren Teil zum Unwillen gegenüber tiefgreifenden Veränderungen bei.
Wie wir den Blick für die Zukunft zurückgewinnen können
Wenn wir den Fortschritt wieder unter Kontrolle bringen möchten, müssen wir Benedikt Herles zufolge für eine gesellschaftliche Innovation sorgen. Unsere Aufgabe liegt darin, uns Gedanken über die sozialen und ökonomischen Konsequenzen der digitalen Revolution zu machen und zu entscheiden, was Technologie darf und was nicht. Benedikt Herles plädiert für eine breite gesellschaftliche Debatte und ruft dazu auf, endlich politischen Gestaltungswillen zu zeigen und die Zukunft aktiv mitzugestalten. Denn das Politische Innovator’s Dilemma ist eine Gefahr für den Wohlstand und den sozialen Frieden nicht nur unserer, sondern auch der kommenden Generationen. Dieses Dilemma müssen wir für den Erhalt der Demokratie überwinden. Die Zeit für eine gesellschaftliche Innovation ist jetzt.
Ob wir wirklich die Kontrolle über unseren Fortschritt verlieren und wie eine gelungene gesellschaftliche Innovation aussehen kann, haben wir Benedikt Herles in Alpbach gefragt. Den Podcast können Sie in Kürze hier anhören.