14. September 2023

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Singapurs Wohnpolitik

Singapurs Wohnpolitik

Sozialer Eigentumswohnbau

Ausgangssituation

Singapur ist ein südostasiatischer Insel-Stadtstaat an der Südspitze der Malaiischen Halbinsel. 2022 lebten rund 5,6 Millionen Menschen in Singapur, die ethnisch überaus divers sind, wenngleich mit fast Dreiviertel der Anteil der ethnischen Han-Chinesen mit Abstand am größten ist. Mit 13,5% stellen die Malaien die zweitgrößte und mit 9% die Indischstämmigen die drittgrößte Bevölkerungsgruppe.

Dieser ethnischen Vielfalt Rechnung tragend, gibt es in Singapur vier Amtssprachen (Englisch, Hochchinesisch, Malaiisch, Tamil), wobei Englisch als Verwaltungs-, Verkehrs- und Alltagssprache eine dominante Rolle einnimmt. Die Geschichte Singapurs ist unter anderem sehr stark von ethnischen Konflikten geprägt. Das zeigt sich schon daran, dass der Ausschluss von Singapur aus dem föderalen Malaysia gewichtig ethnisch veranlasst war. An den ethnischen Linien entflammten gewalttätige Konflikte regelmäßig. Bis heute stellt das Austarieren der ethnischen Vielfalt eine der zentralen Herausforderungen für die singapurische Gesellschaft dar. So sieht beispielsweise die Verfassung seit einer Änderung 2016 eine Regelung vor, dass das Amt des Präsidenten einer bestimmten ethnischen Gruppe vorbehalten ist, wenn diese in den letzten fünf Amtszeiten keinen Präsidenten stellte. Hinzukommt, dass gerade einmal 62% der Bevölkerung singapurische Staatsangehörige sind.

Mit 734,3 km² ist Singapur etwa 1,75-mal so groß wie Wien. Seit Jahren nimmt die Landfläche mittels Landgewinnungsmaßnahmen zu, die dem Ziel dienen, den steigenden Bedarf an Bauland zu stillen. Etliche Infrastrukturprojekte, Wohnsiedlungen und Industrieflächen konnten so zulasten der weiten Mangrovenwälder entstehen, ohne dabei die bereits bestandene Substanz erheblich zu beeinträchtigen. Ganz prominent: Der Bau des 1981 eröffneten Singapore Changi Airport führte zur Aufschüttung einer Fläche von rund 2 km². Bei den Landgewinnungen, die massiv in die Umwelt eingreifen, war Singapur bislang vor allem auf Sand aus den Anrainerstaaten angewiesen, die in den letzten Jahren schrittweise den Export nach Singapur verboten. Dennoch soll bis 2030 die Landfläche auf etwa 800 km² anwachsen. Mit rund 7.800 Einwohnern/km² ist Singapur der weltweit zweit-dichtbesiedeltste Staat weltweit. Die Stadt mit der weltweit höchsten Bevölkerungsdichte ist hingegen Bangladeschs Hauptstadt Dhaka mit über 30.000 Einwohnern/km². Im Vergleich dazu hat Wien eine Bevölkerungsdichte von circa 4.700 Einwohnern/km².

Die geografische Situation als Stadtstaat auf Inseln gepaart mit mangelnden natürlichen Ressourcen und einem starken Bevölkerungszuwachs aufgrund von Zuwanderung brachten Singapur, als jungen Staat auf der Suche nach beziehungsweise im Aufbau seiner nationalen Identität, in eine schwierige, gar existenzbedrohende Lage. Gerade die damals herrschenden Wohnbedingungen, insbesondere eng beieinanderstehende, überfüllte, unorganisiert und slum-artig unstrukturiert gebaute Holzhäuser – „Kampong“ genannt –, waren – angesichts einer hohen Bevölkerungsdichte – Katalysator, wenn nicht gar Ursache, für wachsende soziale Probleme. Als Insel-Stadtstaat mit deutlicher Ungleichheit in der Vermögensverteilung und rasantem Bevölkerungsanstieg ist daher ein eklatantes Fehlen an möglichem Bauland auszumachen, der unter anderem zu einem – in Ermangelung staatlicher Eingriffe – überaus teuren Wohnungsmarkt führt ob der hohen Nachfrage gegenüber stark begrenztem Angebot an Wohnraum.

Lösung

Hintergrundgedanken

Die Antwort Singapurs, unter Führung des damaligen Staatsgründers und Premierministers Lee Kuan Yew, war, der Bevölkerung breiten Zugang zu Wohneigentum zu verschaffen. Eine Politik des leistbaren Eigentums wurde einer, die das billige Vermieten von Wohnungen zum Ziel hat, vorgezogen, weil die Überzeugung bestand, dass Menschen sich eher um ihr Eigentum als um Mietobjekte kümmerten. Ebenso erachtete man Eigentum als Schlüssel auf dem Weg, eine singapurische Nation aufzubauen, mit der sich die verschiedenen ethnischen Gruppen identifizieren können. Wohnraum wurde als existenzielles Gut verstanden. Gleichwohl sah man im Eigentum, insbesondere am Wohnraum, einen Garanten für eine breite Teilhabe am wachsenden allgemeinen Wohlstand. Treffend ist daher wohl der Befund einer sozialen Eigentumswohnpolitik.

Enteignungen

1960 lag der Anteil von Grund in Privateigentum bei 56%. Angesichts der politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die mitunter mit der 1965 unfreiwillig erlangten Unabhängigkeit von Malaysia, der ungleichen Vermögensverteilung und den strengen geographischen Restriktionen zusammenhingen, war schnell klar, dass leistbares Wohnen nur mit ausreichend leistbarem Wohnraum möglich sein könnte. Daher verabschiedete Singapur 1966 – unter großem anfänglichem Widerstand – ein Gesetz zur breitflächigen Enteignung von Privatgrund (Land Acquisition Act), um soziale Wohnbauprojekte angehen zu können.

Zunächst legten die Behörden eine Entschädigungssumme fest, die nur vor einer Schlichtungsstelle, nicht aber gerichtlich angefochten werden konnte. Im Bemühen, Spekulationen und allzu hohen Entschädigungsausgaben vorzubeugen, bestimmte sich mit der 1973 in Kraft getretenen Novelle die Entschädigungshöhe nach dem Wert, der zu einem im Gesetz festgelegten Zeitpunkt bestand. Bis 1987 verblieben die Entschädigungen demnach auf dem Niveau von 1973. Die Stichtage zur Entschädigungsbestimmung wurden mit weiteren Novellen 1986, 1992 und 1995 wiederholt angepasst. Erst seit 2007 gibt es Entschädigungen zu Marktpreisen.

Um den Widerstand gegen Enteignungen und Umsiedlungen anzugehen, war es das oberste Anliegen der Regierung, adäquaten Ersatz für alle Betriebe und Menschen sicherzustellen. Sämtliche Maßnahmen finden nach wie vor im Rahmen eines umfassenden Konzepts, das effektive Planung und Koordination ermöglicht, statt. Grundsätzliches Ziel ist die Hebung des allgemeinen Lebensstandards mit qualitativ guten Wohnungen in durchdacht angelegten Wohngebieten samt entsprechenden Freizeit- sowie Betriebs- und Gewerbeflächen.

Wohnung als Teil der Sozialversicherung

Für die zentrale Verwaltung, Planung und Koordination der singapurischen Wohnbauprojekte ist die Wohn- und Entwicklungsbehörde „Housing and Development Board“ (HDB) zuständig. Diese Behörde zeichnet sich darüber hinaus für die Vergabe von billigen Krediten für den Erwerb von Wohnraum verantwortlich, deren Kreditraten regelmäßig niedriger ausfallen, als der Mietzins, der für eine vergleichbare Wohnung angefallen wäre, um so etwa den Anteil der Wohnungsausgaben am Einkommen zu verringern. Finanziert wird die Behörde zum einen aus Mitteln des öffentlichen Staatshaushaltes, zum anderen durch den staatlichen Sozialversicherungsplan „Central Provident Fund“ (CPF), in den alle erwerbstätigen singapurischen Staatsangehörige sowie Personen mit dauerhaftem Aufenthaltstitel als Teil der gesetzlich vorgeschriebenen Sparquote einzahlen müssen. Singapur hat als Folge dessen eine der höchsten Sparquoten – bis zu 50% – der Welt.

In diesem Zusammenhang muss vergegenwärtigt werden, dass Singapur über einen – jedenfalls für europäische Verhältnisse – schwach ausgebauten Sozialstaat verfügt. Mindestlöhne oder Arbeitslosengeld existieren beispielsweise nicht. Denn der singapurische Staat zieht die aktive Unterstützung bei der Suche nach einem Arbeitsplatz einer Auszahlung von Geldern vor.

Dahingegen werden, neben den Unterstützungsleistungen für den Erwerb von HDB-Wohnungen, einzig noch die Gesundheitsversorgung und Pensionen aus den Mitteln des CPF bestritten. Da die CPF-Mittel von den gesetzlich zwingenden Ersparnissen der Einzahlenden getragen werden, bedeutet das, dass die Menschen diese Leistungen hauptsächlich mit dem finanzieren, was sie im Rahmen des CPF-Plans angespart haben.

Wohnungseigentum, das streng genommen keines ist

Die billigen Kredite zur Finanzierung des Kaufs von HDB-Wohnungen führten dazu, dass Singapur – trotz seiner Eigenschaft als kleiner, dicht besiedelter Stadtstaat – mit fast 89% eine der höchsten Wohneigentumsquoten der Welt hat. Streng genommen handelt es sich bei den erworbenen Wohnungen aus den Sozialwohnbauprogrammen aber nicht um Eigentum, sondern bloß um eine 99-jährige Pacht. Der weit verbreitete soziale Eigentumswohnbau zeichnet sich letztlich verantwortlich, dass in Singapur in den vergangenen Jahren fast durchwegs über 78% der Bevölkerung im sozialen Wohnungsbau lebten und dieser somit nicht auf die sozial schwächsten Schichten beschränkt ist. Der höchste Anteil lag bei 88% im sozialen Wohnungsbau im Jahr 2000.

Der Zugang zu billigen HDB-Krediten für den Kauf von Wohnungen aus dem öffentlichen Wohnungsbau ist an vielerlei Kriterien gekoppelt, wie beispielsweise dem Einkommen oder der singapurischen Staatsangehörigkeit. Die Kredite, die typischerweise 80% des Kaufpreises decken, laufen höchstens 25 Jahre. Ein Haushalt kann höchstens zwei Kredite beantragen. Neben dem Wohnungskauf ist auch das Mieten von HDB-Wohnungen möglich. Inwieweit der Erwerb beziehungsweise das Bewohnen in einem bestimmten HDB-Wohnviertel gestattet ist, hängt ferner von der ethnischen Zugehörigkeit ab. Es bestehen Quoten, die eine bestimmte ethnische Zusammensetzung der Wohnbevölkerung eines Viertels sicherstellen sollen, um die Bildung von ethnischen Ghettos zu verhindern und den Aufbau einer gemeinsamen nationalen Identität sowie soziale Integration über Bevölkerungsschichten hinweg zu ermöglichen. Kontinuierlich ist die öffentliche Wohnbaubehörde HDB zudem bemüht, mit regelmäßigen Revitalisierungs- und Sanierungsmaßnahmen Wohnviertel aufzuwerten.

Da sich im Verlaufe des Lebens Wohnbedürfnisse verändern und Wohneigentum als Teil der finanziellen Altersvorsorge gesehen wird, ist es möglich, erworbene HDB-Wohnungen relativ frei am Markt zu verkaufen. Die gehandelten Preise werden nicht staatlich reguliert, wohingegen es etliche andere Restriktionen gibt, wie zum Beispiel Warte- und Halteperioden oder die auch hier greifenden ethnischen Quoten, die es gegebenenfalls verböten, einem Angehörigen einer ethnischen Gruppe eine Wohnung zu erstehen, wenn bereits zu viele seiner Ethnie im besagten Viertel lebten. Darüber hinaus soll ein öffentliches Rückkaufprogramm ältere HDB-Wohnungseigentümer dazu anregen, ihre bestehende Wohnung zu verkaufen, um so einerseits ihre Pension und andererseits den Erwerb beziehungsweise die Miete einer kleineren – und damit billigeren – Wohnung finanzieren zu können. Denn selbst bei Weiterverkauf einer Wohnung, erneuert sich die 99-jährige Pacht nicht, sondern die Frist läuft weiter. Das heißt auch, dass Erwerber einer bestehenden Wohnung bloß das bestehende Recht der Vorgänger kaufen und weiternutzen. Mit Ende der 99-jährigen Pacht müssen HDB-Wohnungen zurückgegeben werden, sodass sie für den Eigentümer mit zunehmender Pachtdauer an Wert verlieren und schlussendlich wertlos werden. Hinzukommt, dass es immer schwieriger wird, für ältere Pachten Kredite zu bekommen. Ebenso nimmt die Wahrscheinlichkeit, dass eine Wohnungspacht vom Staat zurückgekauft wird, mit steigender Pachtdauer ab.

Privater Wohnungsmarkt

Neben dem dominierenden öffentlichen Wohnungsbau besteht nach wie vor ein privater Wohnungsmarkt. Sein Anteil am gesamten Wohnungsmarkt liegt bei rund 22% (2022 waren 77,9% aller Haushalte in HDB-Wohnungen). Dieser ist vor allem für nicht-singapurische Staatsangehörige relevant, weil diese eben keinen Zugang zu HDB-Wohnungen haben. Vorbehaltlich vorheriger behördlicher Zustimmung ist auch für Ausländer der Kauf von Wohnungen außerhalb des sozialen Wohnbaus möglich. Preise für solche sind oftmals horrend, weil Singapur eine der teuersten Städte der Welt ist.

Fazit

Die Wohnpolitik Singapurs ist in ein Sozialstaatsdenken gebettet, das um die Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen bemüht ist. Das zeigt sich schon daran, dass die soziale Wohnpolitik mit möglichst billigem De-facto-Wohneigentum versucht, einerseits die Wohnenden beim Vermögensaufbau entscheidend zu unterstützen und andererseits ihnen aufgrund ihrer De-facto-Eigentümerstellung Verantwortung für ihre eigene Wohnung sowie ihr Vermögen zu übertragen. Zur Folge hat dies unter anderem, dass sich hauptsächlich jeder Einzelne um seine eigene soziale Absicherung kümmern muss, während der Staat lediglich darum bemüht ist, das Grundgerüst zu schaffen, um ebendies zu ermöglichen, wenn nicht gar zu erleichtern. Vor allem in der Wohnpolitik liegt in Singapur das Verständnis zugrunde, dass Wohnen als menschliches Grundbedürfnis Ausgangspunkt für alle weiteren Lebensaspekte und -entscheidungen ist – vom alltäglichen Leben bis hin zum Vermögensaufbau. Wohnen hat dabei zugleich leistbar als auch verantwortungsbildend zu sein.

 

(tn)

 

Quellen und Verweise

Phang, Sock-Yong/Helble, Matthiaus: Housing Policies in Singapore, in: ADBI Working Paper, Asian Development Bank Institute, Nr. 559, 2016, http://www.adb.org/publications/housing-policies-singapore/.

Ng, Kok Hoe: Public housing policy in Singapore, in: Global Is Asian, 2017, https://lkyspp.nus.edu.sg/gia/article/public-housing-policy-in-singapore.

Ng, Kok Hoe: Public housing policy must evolve with the times, in: Global Is Asian, 2018, https://lkyspp.nus.edu.sg/gia/article/public-housing-policy-must-evolve-with-the-times.

Department of Statistics, Ministry of Trade & Industry, Republic of Singapore: Population Trends 2022, 2022, https://www.singstat.gov.sg/-/media/files/publications/population/population2022.pdf.