Heuer, 2022, soll eine neue Artikel-15a-B-VG-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern über die Elementarpädagogik kommen, denn die derzeit noch gültige läuft im August 2022 ab. Im Raum steht der Fokus auf die Verlängerung und Flexibilisierung der Öffnungszeiten der Kinderbetreuungseinrichtungen, Ausweitung des Angebots für Unter-Dreijährige und Frühsprachförderung. Punkte, die entscheidend sind, um Österreichs Kinder bereit für die Zukunft zu machen, wie wir bereits in unserer Studie zur frühkindlichen Bildung zeigen.
Doch was ist diese Artikel-15a-B-VG-Vereinbarung? Warum braucht es sie gerade im Kinderbetreuungswesen? Wieso kann der Bund nicht alleine Initiative ergreifen, sondern muss mit den Ländern zusammenwirken?
Um den Zweck und die Bedeutung dieser Vereinbarung zu verstehen, muss ein Blick auf die föderale Struktur Österreichs geworfen werden.
Der Bundesstaat Österreich
Eines der Grundprinzipien der österreichischen Bundesverfassung ist die Bundesstaatlichkeit. Österreich ist ein Bundesstaat, wie Artikel 2 Absatz 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) ausdrücklich formuliert. Anders als in der deutschen Übersetzung für die US-amerikanischen „states“ meint „Bundesstaat“ hier den Zusammenschluss einzelner Länder oder Teilstaaten zu einem Bündnis in Form eines einzelnen Gesamtstaates. Die neun österreichischen Länder als Teilstaaten bilden also zusammen den Bundesstaat Österreich. Im Gegensatz zu zentralistisch organisierten Staaten, wie zum Beispiel Frankreich, haben in föderalen Staaten, wie Österreich oder auch Deutschland, Teilstaaten weitgehende Autonomie. Das heißt, dass viele Regelungsgebiete in Österreich den Ländern vorbehalten sind. Gewissermaßen handelt sich also um Staaten in einem Staat.
Die Kompetenzverteilung
Was die einzelnen Teilstaaten selbst regeln können und dürfen sowie was der Bundesstaat einheitlich für alle regeln kann und darf, hängt von der Kompetenzverteilung ab. Diese wird in Österreich durch die Artikel 10 bis 15 Bundes-Verfassungsgesetz bestimmt. Der Bundesstaat in Österreich legt über den Weg der Bundesverfassung also selbst fest, was er sowie die einzelnen Bundesländer können und dürfen. Man spricht hierbei auch von der „Kompetenz-Kompetenz“ des Bundes.
In Österreich unterscheidet die Verfassung zwischen der Gesetzgebungs- und Vollziehungskompetenz. Erstere bezeichnet die Befähigung in einer bestimmten Angelegenheit Gesetze zu erlassen, während letztere die Zuständigkeit betrifft, die in einem bestimmten Bereich geltenden Gesetze zu vollziehen.
Artikel 10 Bundes-Verfassungsgesetz legt folglich fest, welche Materien sowohl in der Gesetzgebung als auch in der Vollziehung dem Bund zufallen. Das betrifft weitgehend kritische Funktionen des Gesamtstaates, wie zum Beispiel die Außenpolitik, Finanzpolitik, Ein- und Auswanderung, Streitkräfte, öffentliche Sicherheit, viele Aspekte der Wirtschaftspolitik oder auch das Zivil-, Arbeits- und Strafrecht. Artikel 11 Bundes-Verfassungsgesetz weist etwa in Angelegenheiten der Staatsbürgerschaft, Straßenpolizei oder Tierschutz dem Bund die Gesetzgebung, den Ländern jedoch die Vollziehung zu. Artikel 12 Bundes-Verfassungsgesetz teilt die Gesetzgebung des Bundes insoweit auf, als dass in diesen Angelegenheiten der Bund Grundsätze festlegt, während die Länder diesen folgend dann konkretere Ausführungsgesetze erlassen und auch vollziehen. Artikel 13 Bundes-Verfassungsgesetz geht das Abgabenwesen an, was insbesondere die Steuergesetzgebung betrifft. Artikel 14 und 14a Bundes-Verfassungsgesetz regeln das Schul- und Erziehungswesen. In Artikel 14b Bundes-Verfassungsgesetz geht es um das öffentliche Auftragswesen. Artikel 15 Bundes-Verfassungsgesetz ist eine sogenannte „Generalklausel“, die bestimmt, dass die Länder für alle Angelegenheiten zuständig sind, die dem Bund weder in Gesetzgebung noch Vollziehung zufallen. Dazu zählt unter anderem der Jugendschutz. Das Kinderbetreuungs- sowie frühkindliche Bildungswesen ist zwar auch in Gesetzgebung und Vollziehung Landessache, dies ergibt sich jedoch ausdrücklich aus Artikel 14 Absatz 4 litera b Bundes-Verfassungsgesetz.
Dabei gilt es zu unterscheiden, dass Landesbehörden gemäß Artikel 102 Bundes-Verfassungsgesetz auch in Sachen des Bundesvollzuges, die sich ja nach Artikel 10 Bundes-Verfassungsgesetz bestimmen, tätig werden können. Hier spricht man von einer „mittelbaren Bundesverwaltung“, weil die Landesbehörden in diesen Angelegenheiten Aufgaben des Bundes wahrnehmen. Die Länder vollziehen hier also nicht selbst die Gesetze, sondern tun dies stellvertretend für den Bund.
Artikel 15a Bundes-Verfassungsgesetz
Die unterschiedlichen Kompetenzen erzeugen hin und wieder Situationen, in denen eine einheitliche Lösung womöglich die beste wäre, diese jedoch daran scheitert, weil die einzelnen Bundesländer keine gemeinsame Lösung finden können. Der Bund kann jedoch nicht in Angelegenheiten durchgreifen, in denen er keine entsprechende Kompetenz hat. Es ist daher – insbesondere in einem föderalen System – von großer Bedeutung, dass Bund und Länder sowie die Länder untereinander zusammenarbeiten.
Zwar könnte man meinen, dass es ausreiche, einzig auf den guten Willen aller Beteiligten abzustellen, doch sobald Meinungsverschiedenheiten auftreten, kann die freiwillig gefundene Lösung schnell scheitern. Es braucht in solchen Situationen daher rechtlich verbindliche Vereinbarungen.
Artikel 15a Bundes-Verfassungsgesetz erlaubt dem Bund und den Ländern sowie den Ländern untereinander rechtlich verbindliche Vereinbarungen abzuschließen. So können Bund und Länder sowie Länder untereinander Lösungen finden, für die sie allein ansonsten keine rechtlichen Möglichkeiten gehabt hätten. Diese Vereinbarungen ähneln völkerrechtlichen Verträgen, beschränken sich jedoch auf innerösterreichische Sachverhalte.
Eine Vereinbarung nach Artikel 15a Bundes-Verfassungsgesetz (Artikel-15a-B-VG-Vereinbarung) ist daher das Ergebnis von Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern sowie Ländern untereinander. Ebenso kann sie dabei helfen, etwaige Probleme zu lösen, die sich aufgrund der Kompetenzverteilung ergeben – wie eben in der frühkindlichen Bildung.
(tn)